Der fast verschlafene Auftrag
Hoch droben auf dem Gipfel eines tief verschneiten Berges, auf der größten Tanne, die sich schwer unter der Last des frisch gefallenen Schnees beugte, konnte man, wenn man genau hinsah, in den letzten Strahlen der untergehenden Sonne etwas blitzen sehen. Es war eine Trompete, die in der schlaffen und kraftlosen Hand eines kleinen rotbackigen Engels baumelte. Er hatte die Baumkrone umarmt, das Kinn auf die Brust gesenkt und schlief !!
Langsam, wenn auch nur sehr langsam, begann es unseren kleinen Engel durch sein kleines weißes Hemdchen zu frösteln. Müde und verschlafen versuchte er, sich die Augen zu reiben, wobei ihm beinahe seine Trompete aus der Hand gefallen wäre. Halb verschlafen und noch immer nicht ganz wach, fing er an, sich unter Gähnen und Strecken gemächlich umzusehen. Nachdem er ausgiebig sein kleines Köpfchen geschüttelt hatte, versuchte er sich zu erinnern, wo er überhaupt war, wie er hierher gekommen ist und vor allem, was er hier sollte. Es dämmerte ihm, daß man ihm irgend etwas aufgetragen hatte, aber was??
Er hatte es vergessen!!
Er sah hinab auf das unter ihm liegende Tal. Alles war so friedlich und still. Nachdem er so eine Weile dagesessen hatte und immer noch nicht wußte, wozu er eigentlich hier war, zuckte er kurz mit den Schultern und wollte schon auf dem kürzesten Weg zurück in den Himmel fliegen. Aber das hätte bestimmt Krach mit dem lieben Gott gegeben! Und so dachte er sich, wenn ich schon einmal hier bin, werde ich mir die Erde auch etwas genauer anschauen. Bei etwas Bewegung und Ablenkung würde ihm ganz bestimmt wieder eine gute Ausrede einfallen.
Und so begann er, seine leicht klamm gewordenen Flügel schwerfällig zu schlagen. Als er endlich wieder fliegen konnte, drehte er erst einmal eine Runde über das in festliches Weiß getauchte Tal und flog dann, weil es ihn immer noch fror, weiter in Richtung Süden. Ohne es zu wollen, flog er ein paar Mal um die Welt, bis er -doch wieder etwas müde-, in einem fernen Land Rast einlegen mußte. Das milde Klima sagte ihm sehr zu, es war angenehm warm und er freute sich. Die Bäume hier waren nicht verschneit, sondern über und über mit Früchten beladen.
Glücklich, da zu sein, macht er sich daran, von jedem Baum zu naschen. Er hüpfte von Ast zu Ast und von Baum zu Baum, bis er an einen halbverfallenen Stall kam. Die Stimmung, die von diesem Ort ausging schien ihn zu fesseln und so setzte er sich auf das Dach dieses Stalles und schaute neugierig hinein. Igendwie wurde er unruhig und begann, seine Trompete fester und fester zu umklammern. Er fühlte, daß er hier richtig war, aber was sollte er hier, ausgerechnet hier?? Er kratzte sich am Kopf und versuchte sich zu erinnern.
Im Stall waren nur ein Esel und ein Ochse… und zwei Menschenkinder, ein Mann und eine Frau.
Der Mann schien nervös zu sein und die Frau anscheinend krank. Hielt sie sich doch immerzu den Bauch. Neugierig betrachtete er die beiden und begann seine Trompete noch fester zu halten. Er wußte selbst nicht warum, aber tief in seinem Herzen spürte er, daß er sie gleich brauchen würde. Wieder begann er sich den Kopf zu kratzen, und er überlegte hin und her, warum er eigentlich auf die Erde geschickt wurde.
Während er so vor sich hin überlegte, schreckte ihn ein Schrei aus seinen Gedanken, der Schrei eines Kindes. Und plötzlich wusste er wieder, warum er losgeschickt worden war und wozu er überhaupt diese Trompete bei sich hatte. Auf die Geburt dieses Kindes sollte er warte, nur hatte er sich verflogen, weil er müde geworden war.
Jetzt aber fiel ihm alles wieder ein.
Er sollte voraus fliegen und der himmlischen Schar Bescheid geben, wenn es soweit war. Jetzt war es soweit!! Er begann seine Flügel zu schlagen, daß sie klatschten und holte tief Luft, blies in seine Trompete und eine wunderbare Melodie erklang, ohne daß er etwas dazu tat.
Diese Melodie war das Zeichen, und der Himmel begann sich zu öffnen. Er flog wie wild umher und blies, was die Trompete hergab. Langsam und mit sehr viel Anmut und Grazie schwebten die „großen“ Engel vom Himmelstor herab. Sie hatten Harfen, Posaunen und Trompeten bei sich. Auch der himmlische Chor war dabei und eine göttliche Musik erfüllte die Luft. Das Licht, das die Engel verströmten, erhellte den Stall und seine ganze Umgebung. Beinahe wäre er noch von einem der „großen Engel“ über den Haufen geflogen worden, wenn er nicht rechtzeitig ausgewichen wäre. So hing er abseits in der Luft und freute sich über das Treiben. Der letzte Engel der himmlischen Schar hatte einen großen leuchtenden Stern – wie ein Drachen – an der Schnur und band ihn über dem Stall fest.
Angelockt durch dessen Licht und die himmlisch Musik kamen die Hirten vom Feld, die Reisenden von der Straße und die Menschen aus der Stadt zu dem Stall, dem Stall von Betlehem. Plötzlich merkte er, wie ihm jemand ständig auf die Schulter tippte und er drehte sich um. Ein großer, anmutiger, alter Engel stand neben ihm und sagte:“Du kannst zurück, dein Auftrag ist erledigt, den Rest machen wir!“
Etwas traurig, aber folgsam kehrte der kleine Engel zurück in den Himmel, wo ihn der liebe Gott bereits mit offenen Armen erwartete. Er setzte sich ihm einfach auf den Schoß. Der liebe Gott legte seinen Arm um seine kleinen Schultern und sie sahen still hinab auf die Erde. Nach einer Weile brach der liebe Gott das Schweigen, blinzelte dem kleinen Engel mit dem linken Auge zu und meinte:
„Das ist ja gerade noch mal gut gegangen.“
Ich wünsche Euch eine gesegnete Weihnacht, die Ihr hoffentlich mit den Menschen verbringen könnt die Euch am Herzen liegen !
♥-lichst Veronique
* Dies ist seit ganz, ganz vielen Jahren zur Weihnacht eine Lieblingsgeschichte in unserer Familie.
Liebe Veronique, musste eben sehr schmunzeln – was für eine schöne Geschichte, zum Glück gabs dann doch keinen Krach mit dem lieben Gott, grade noch mal gutgegangen 😉 Habt eine schöne Zeit und genießt die Ruhe zwischen den Jahren, liebe Grüße von Doris